Berlin war wieder geteilt, zumindest symbolisch. Die neue Grenze war glücklicherweise nur 15 km lang und zog sich durch den Ostteil der Stadt. Von der Oberbaumbrücke bis zur Bornholmer Straße, keine Absperrungen und Grenzkontrollen mehr, nur 8000 Ballons, die eine Lichtgrenze bilden.
Als die Ballons am Abend in den Himmel steigen, musste ich mir das eine oder andere Tränchen wegdrücken (und laufen lassen), denn vor 25 Jahren stand ich auch schon hier und durfte das erste Mal in meinem Leben in den Westteil der Stadt.
Ein guter Zeitpunkt, innezuhalten und zurückzuschauen, was in den Jahren der neu gewonnen Reisefreiheit passiert ist. Und vielleicht auch noch ein Stückchen weiter zurück, wohin und wie wir vor 1989 gereist sind oder ob überhaupt…
Ich habe mich ja immer gefragt, woher meine Reiselust kommt. Ich bin weder mutig noch kann ich es in den Genen haben. Meine Familie ist eher bodenständig und vor allem mein Vater hat gern zugegeben, dass er die Klevbüx anhat (wie man im Norden sagt). Warum durch die Weltgeschichte toben, Mecklenburg ist so schön. Recht hat er. In meiner Kindheit habe ich nichts vermisst. An der mecklenburgischen Ostsee aufgewachsen, hatte ich das Meer direkt vor der Tür und denke gern an unbeschwerte Sommer am Strand, Familientreffen in Omas Garten und den Duft von frisch geräuchertem Aal.
Im Teenie-Alter änderte sich dies und das Fernweh wurde größer. Wie oft habe ich den Fähren Richtung Skandinavien sehnsüchtig nachgeschaut.
Aber nix da, unser Reiseradius war die DDR und deren Bruderländer. Meine weiteste Auslandsreise führte mich mit meiner Schulklasse nach Weißrussland. Mit dem Nachtzug fuhren wir nach Brest und weiter nach Minsk. Am nachhaltigsten in Erinnerung sind mir die herzlichen Menschen und eine Gruppe Jugendlicher aus der Ukraine geblieben (mit denen wir im Hotel ordentlich gefeiert haben). Hier lernte ich auch Oscar kennen, der als Mexikaner für meine Freunde und mich richtig exotisch war.
Alle zeigten mir einen Vogel als wir Adressen tauschten und lange hörte ich nichts von ihm. Aber irgendwann kam ein bunter Brief aus Mexiko und wir schrieben uns viele Jahre. Genau 18 Jahre später habe ich ihn in Berlin mit seiner Frau Larissa getroffen und bis heute sind wir in Verbindung.
Reisen nach Polen, Prag und Budapest kamen dazu. Immer mit dem Zug und fast immer zelteten wir. Vor allem in Budapest konnte ich damals vom Duft der großen weiten Welt schnuppern. Richtig internationales Flair, ganz anders als zu Hause. Rostock wurde zwar „das Tor zur Welt“ genannt, aber was nützt ein Tor wenn es immer zu ist?
Geliebt habe ich die vielen Kinderferienlager, Urlaub mit meiner Mum in Thüringen, Sachsen, Polen und die Klassenfahrt nach Berlin. Ost-Berlin war für uns der Kracher, so cool wie heute London oder Barcelona.
Meine Freundin Kathleen und ich wurden magisch von der einzigen Metropole der DDR angezogen. Wenn wir nach Berlin fuhren, erzählten wir zu Hause, dass wir bei einer Tante der Freundin schlafen. Tatsächlich war es ein Hausflur in Karlshorst. (Tschuldigung an meine Eltern, aber ich glaube, ich hatte das schon gebeichtet.) Gern hätte ich damals mehr von der Welt gesehen und bewarb mich bei der Handelsflotte, aber keine Chance, ein Brieffreund in Mexiko und ein Fluchtversuch in der Verwandtschaft waren keine gute Referenz.
Und so sah meine Reiseweltkarte 1989 aus, ich war in 5 verschieden Ländern, inklusive der DDR und bin ein Mal mit Interflug von Prag nach Berlin geflogen.
Nach 25 Jahren sind ein paar Reiseziele dazugekommen. (Stand November 2014)
Update 2019 | 30 Jahre nach dem Mauerfall
Quelle: douwe.com
Jetzt habe ich mich hier mit meinen Erinnerungen ganz schön verplappert, also die letzten 25 Jahre im Zeitraffer.
Am 10. 11.1989 habe ich das erste Mal in meinem Leben West-Berlin betreten. Grenzübertritt an der Heinrich-Heine-Straße, Beweismittel – mein DDR-Personalausweis und Reisepass mit Ausreisestempeln.
Meine erste Auslandsreise ging nach Kopenhagen. Kaum Geld in der Tasche, aber mit einem Wahnsinnsgefühl, tatsächlich auf der Fähre zu stehen, der ich so viele Jahre hinterher geschaut habe. Unbeschreiblich.
Kurz nach dem Mauerfall habe ich meine Sehnsucht zum Beruf gemacht, ein Tourismusstudium begonnen und danach viele Jahre in der Reisebranche gearbeitet. Erste Praktika führten mich nach Sylt, Karlsruhe, Schweden, England und mehrfach auf die ITB. Dort habe ich einige Jahre für das Israelische Fremdenverkehrsamt und die Airline Emirates gearbeitet. Was ist dann naheliegender als sich die Welt von 1001 Nacht selbst anzusehen?
Nach meinem Studium und zog es mich ins Ausland. Im ersten Jahr nach Portugal und dann zwei Jahre nach Griechenland. Hier war es um mich geschehen, seitdem schlägt mein Herz für Hellas. Die drei Jahre waren großartig. Schade, dass es damals noch keine Blogs gab, als Reiseleiterin hätte ich täglich jede Menge Stoff gehabt. Zurück in Berlin, fuhr ich regelmäßig gen Norden. Mein neuer Job brachte, zu meiner Freude, viele Reisen nach Schweden mit sich.
Auch als Familie ging es mit den Kindern schon früh auf Reisen. Meine Erfahrungen sind durchweg positiv und ich kann es nur jedem ans Herz legen. Es ist schon verrückt, dass meine Kinder mit 5 und 9 schon wesentlich mehr von der Welt gesehen habe als ich mit 18 Jahren. Schön, dass es so ist.
Ach Leute, ich habe mal meine alten Fotoalben durchgeblättert, schnief. Ob Goa, Vietnam, Kanada, Irland, Mexiko, Bulgarien, Thailand usw. Ich habe die 25 Jahre genutzt, um etwas von der Welt zu sehen, viele tolle Menschen getroffen und mit Schweden und Griechenland meine Lieblingsländer gefunden.
Und nach wie vor gehört die Ostseeküste zu meinen absoluten Lieblingsecken, ein klitzekleines bisschen hatte mein Vater also recht.
So Ihr Lieben, nun sind wir im Jahr 2014 angekommen. Lasst uns die Gläser erheben – auf all die schönen Plätze der Welt, die wir entdecken konnten und noch finden werden. Ganz egal, ob weit weg oder vor der Haustür. Die Ballons steigen in den dunklen Himmel und die imaginäre Grenze verschwindet Stück für Stück Ballon für Ballon.
Toller Artikel! Ja, wir wissen gar nicht, in welchem Luxus wir leben.
In anderen Ländern ist die Reisefreiheit nach wie vor noch so eingeschränkt. Wer darf wohin reisen? Unter welchen Bedingungen? Wir haben so viel Glück – und das noch gar nicht so lange!
Ich bin auf der anderen Seite der Grenze aufgewachsen, nicht weit davon entfernt. Und der Mauerfall gehört zu meinen frühesten Erinnerungen. Gleichaltrige, die weiter entfernt aufwuchsen, haben seltsamerweise keinerlei Erinnerung daran. Aber die Freunde, die in meiner Gegend (Franken) groß wurden, haben alle ihre Erinnerungen – es war nachdrücklich, auch wenn ich die Bedeutung damals noch nicht begreifen könnte.
Sehr schöner Artikel. Lass uns die Freiheit genießen, die wir haben. Denn Freiheit ist ein kostbares Gut und leider ein verletzliches!
Liebe Ines, das hast du so schön beschrieben! Den 25. Jahrestag hab ich auch an der mit Ballons nachgezeichneten Berliner Mauer verbracht – mit einer Freundin, die im Osten aufgewachsen ist. Für mich brachte der Mauerfall zwar keine neue Reisefreiheit, aber viele Freunde, die ich sonst nie hätte kennenlernen können ♥️
Du hast mir übrigens einige Länder voraus und definitiv den coolsten Stempel im Pass 🙂
Liebe Grüße
Julia
Lieben Dank Julia. Das geht mir genauso, viele wunderbare Menschen hätte ich nicht kennengelernt. Und mal abgesehen vom Reisen, ich bin so froh, dass wir jetzt so viele Möglichkeiten haben, wo und wie wir leben, und auch unsere Kinder frei aufwachsen können. Ganz liebe Grüße, Ines
Ich habe die DDR-Stempelplatte H.-Heine, den ich in Ihren Bildern nicht sehe.
Vielleicht im DDR-Personalausweis?
[…] 9. November 2014 als ich mit meiner Familie an der Berliner Lichtgrenze stand und der Maueröffnung vor 25 Jahren […]
Sehr schön (e) die , Deine Geschichte!
Vielen Dank und liebe Grüße in den schönen Norden 🙂
Unverkennbar: Lisas Mama!
🙂 🙂 🙂
Drei lebenswichtige Tage gibt es in meinem Leben: Meine Geburt am 2. 10. 1948, meine Trauung am 28. 10. 1983 und der Fall der Mauer am 9. 11. 1989. Und ich kann es sehr gut nachvollziehen, wenn bei liebenswerten Menschen aus der ehemaligen DDR die Reiselust ganz gross geschrieben wurde und wird. Die letzten 40 Jahre war ich rund acht Jahre weltweit unterwegs. Eindrücke und Erlebnisse, die mir niemand nehmen kann. Liebe „Alt“-Kollegin Ines, Du junger Hupfer, bleibe Mecklenburg-Vorpommern treu und sei viele, viele Jahre auf der Welt zuhause. Das wünsche ich Dir von ganzem Herzen.
Danke Charly und ich wünsche mir, dass wir es irgendwann doch mal auf ein Gläschen an der Küste schaffen.
Mensch Du, da muss ich ja mitschniefen! Und ich konnte mich gar nicht erinnern, dass du am 10.11.89 schon „nüber“ bist! Aber hätte ich mir eigentlich denken können, immer schön vorne mit dabei :-)! Superschöner, herzerwärmender Artikel, danke Sugar! Warum waren wir Sonntag eigentlich nicht an der „Mauer“ verabredet? Wahrscheinlich, weil ich damals ich schon so lange brauchte, um dem Westen Hallo zu sagen…
Danke, danke, freut mich. 1989 kannten wir uns leider noch nicht, sonst hätte ich Dich gleich mitgenommen 🙂